Was man bei Lehrproben nicht falsch machen soll
Vorbemerkung
Eine Lehrprobe ist natürlicherweise eine extreme unterrichtliche Ausnahmesituation, deren Sinn - gerade von den betroffenen Kandidaten - manchmal in Frage gestellt wird. In den folgenden Ausführungen soll über das Prüfungsverfahren an sich mit seinen Problemen, die Prüfungen grundsätzlich zu eigen sind, keine Grundsatzdiskussion begonnen werden, Vielmehr werden hier in lockerer Folge Ratschläge angeboten, die sich aus der Erfahrung ergeben haben und vielleicht ein wenig helfen. Dabei sollen diesmal nicht die vielen guten, manchmal beispielhaften Leistungen als Grundlage dienen. Der Inhalt dieses Aufsatzes ergibt sich nämlich im Gegenteil aus einer Auswahl beobachteten Mißgeschicks bedauernswerter Prüfungskandidaten, denen zwar vermutlich theoretisch völlig klar war, wie eine Lehrprobe zu gestatten ist, die aber dann doch erst aus eigenen, manchmal verblüffenden Fehlern lernten. Selbstverständlich kann auf diese Weise keinesfalls eine vollständige Anleitung zur Durchführung von Lehrproben entstehen.
Gedanken zur Vorbereitung der Lehrprobe
Bei der schriftlichen Ausarbeitung der Lehrprobe kommen immer wieder die gleichen Fehler vor. Ein 100 Punkte umfassender Lernzielkatalog, der im Verlauf der Stunde unerfüllbar bleiben muß, ist wenig sinnvoll. Andererseits ist zu überprüfen, ob die angegebenen Lernziele mit der Verlaufsplanung übereinstimmen, die auch unbedingt die effektiven Lernziele ansteuern muß; letztere werden ja oft genug nur in den Vorerwägungen angesprochen.
Oft liest man ergiebige Ausführungen über die methodischen Entscheidungen, eine ausreichende Begründung findet sich aber selten. Die Folge ist ein altbekannter Fehler: Es ist eine mangelhafte Anpassung an das Schülerniveau zu beobachten, wobei eine Unterforderung sicher nicht so schlimm ist wie das oft zu beobachtende deduktive Vorgehen bei mäßigem Schülerniveau und großer Stoffülle. Es fällt den wissenschaftlich ausgebildeten Referendaren schwer, bis zur ersten Lehrprobe auf das Schülerniveau herabzusteigen. Im Unterrichtsverlauf wundert sich der Kandidat, daß es nicht recht vorwärtsgeht, der Zeitplan überschritten wird und am Ende der letzte Teilschritt und die Gesamtabsicherung/Anwendung dem Zeitmangel zum Opfer fallen müssen. Gelingt es dem Kandidaten trotzdem, seinen vorgegebenen Stoff zu "schaffen", ergibt sich immer wieder bei der Erfolgskontrolle, daß die Lernziele nur ungenügend erreicht wurden. Die Erfahrung zeigt, daß bei Lehrproben die Schüler eher überfordert werden, als daß das Niveau zu tief angesetzt wurde; man sollte hier auch eine gewisse Aufregung der Schüler mit in Betracht ziehen. Der Referendar muß sich also vor dem Ehrgeiz hüten, in einer Lehrprobe möglichst viel zu bringen. Die Kunst besteht hier im richtigen und begründeten Weglassen!
Einen in jeder Hinsicht guten Einstieg zu finden ist nicht leicht. Er sollte einerseits eine anhaltende Motivation aufbauen (z. S. Beginn eines durchziehenden Falles), andererseits enge Verbindung zum Thema haben und vor allem rasch zu ihm führen. Eine einfache, gut durchschaubare Hinführung nimmt den Schülern die Spannung und Aufregung, die vor allem jüngere Jahrgänge in dieser Prüfungssituation mitempfinden. Eine schwierige Problemstellung lähmt die Klasse. Der Einstieg führt zu einer Zielangabe, die auch in vorläufiger Formulierung sehr zweckmäßig sein kann: z. B. statt "Der Lieferungsverzug" - das Wort .,Verzug" wird ja erst erarbeitet - "Firma Neumann liefert nicht". Vorsicht bei der Namenswahl! Auf jeden Fall soll schon hinreichend das Thema der Stunde präzisiert werden. "Wir buchen auf ein neues Konto' ist auch deshalb falsch, weil die Hinführung noch keinen Lösungsansatz enthalten soll. Auf jeden Fall muß der Kandidat auf sinnvolle Beispiele und Fälle achten. In einer Lehrprobe wurde über eine Angestellte mit 400 DM Monatsgehalt berichtet, in einer anderen bestellte ein Kaufhaus 50 m Garn !
In der Planung des Verlaufs der Durchführung ist unbedingt der Grundsatz "vom Leichten zum Schweren", vom logisch Naheliegenden zum Speziellen, von der Regel zur Ausnahme, zu beachten. Andernfalls wird der Aufbau der Stunde für die Schüler schwer durchschaubar.
Z.B. darf in einer Stunde über die Arbeitslosenversicherung nicht die Arbeitslosenhilfe am Anfang stehen.
Es ist sehr zu empfehlen, sich auf alle denkbaren Schülerfragen einzustellen. Wenn man beispielsweise bei der Berechnung des mittleren Verfalltags die freie Wählbarkeit des Stichtags erarbeitet, muß man auf eine Frage, wie denn beim letzten Verfalltag als Stichtag vorzugehen sei (hier gäbe es negative Zinszahlen - unzweckmäßig!), eine Antwort bereit haben.
Einer gründlichen Überlegung bedarf auch, wie man zu häufiges und sinnloses Fragen vermeidet. Oft sind Impulse, ja sogar Gesten viel wirksamer. Dann kommt es nicht beim Thema ,Annahmeverzug' zu Fragen wie "Meint ihr, daß der X (Käufer) nicht ein Interesse hat, bald zu erfahren, wo die Ware liegt?" In vielen Fällen ist es hilfreich, sich Impulse wörtlich einzuprägen, damit man nicht immer wieder aus Versehen eine enge, suggestive Fragestellung wählt. Eine provozierende Feststellung, bei der das schauspielerische Geschick des Lehrers natürlich von Bedeutung ist, erweist sich sehr häufig als aktivitätsfördernd. Statt beim Thema "Verjährung" zu fragen: "Muß jetzt also der X die Lieferung bezahlen?" schlüpft der Lehrer in die Rollen von Käufer und Verkäufer und fordert dadurch die Stellungnahme der Schüler heraus.
Gegen eine darbietende Unterrichtsform mit Medienwechsel ist im übrigen nichts Grundsätzliches einzuwenden, soweit sie schüler- und stoffgerecht durchgeführt wird. Sie ist zeitsparend und ermöglicht oft erst, nachdem die Schüler die notwendigen Erkenntnisse erlangt haben, ein fruchtbares Unterrichtsgespräch. Manches läßt sich einfach nicht erarbeiten, das betrifft beispielsweise auch Spezialbegriffe, die außerhalb der Schülererfahrung liegen.
Die Teilschritte sind deutlich einzeln abzusichern, aber möglichst
nicht als .Wiederholung", sondern besser als Aufgabe oder Anwendung, wobei
in der Regel das Tafelbild nicht sichtbar ist. Die Bemerkung "Nicht
hinsehen!" bei offener Tafel ist als mißglückt anzusehen.
Schon vorher ausgefüllte Arbeitsblätter (gegenüber den Schülern
einen anderen Begriff wählen) werden in dieser Phase je nach Bedarf verdeckt.
Individualunterricht an dieser Stelle ist ein Methodenwechsel, der ebenso
schon bei der Vorbereitung zu planen ist wie Partnerarbeit. Das Ergebnis
der Stunde muß auf jeden Fall festgehalten werden. Eine ausschließliche
Fixierung an der Tafel genügt nicht, Bei der abschließenden Ergebnissicherung
und -kontrolle sollte der Referendar neben dem Lückentext auch noch
andere Verfahren kennen. Wenn die Schüler nicht bei Gelegenheit
der Teilschrittabsicherung das Tafelbild übernommen haben (Erfolgskontrolle
bei geschlossener Tafel), sondern schon bei den Teilschritten aufgrund der
Stoffstruktur Wert auf Anwendung gelegt wurde, kann der Referendar den Schülern
am Ende der Stunde das Tafelbild als Kopie oder Umdruck zur Verfügung
stellen. Das ist zweckmäßigerweise vorher anzukündigen;
wenn noch Zeit bleibt, wird dieses Blatt gemeinsam durchgesehen und z. B.
durch farbige Unterstreichungen bearbeitet.
Immer wieder erlebt man, daß die Schüler nicht so recht wissen,
was sie zu tun haben und ob sie allein oder gemeinsam arbeiten sollen.
Deshalb müssen in der Vorbereitungsphase alle Arbeitsanweisungen genau
durchdacht und geplant werden. Es darf nichts dem Zufall überlassen
bleiben.
Auch der Medieneinsatz muß für den gesamten Verlauf der Stunde sorgfältig überlegt werden. Beispielsweise sollten projizierte Belege und Briefe der Norm entsprechen und praxisgerecht nicht mit der Hand geschrieben werden. Der auswechselbare Kugelkopf moderner Schreibmaschinen sorgt für die nötige Schriftgröße. Sehr schlecht wirkt auf die Prüfungskommission, wenn ein Brief zwei Kommafehler, einen Rechtschreibfehler und noch dazu als Inhalt die normale Kündigung eines kaufmännischen Angestellten zum 13. Juni (Tag der Lehrprobe!) enthält - so tatsächlich in einer Lehrprobe geschehen!
Soweit für den Arbeitsprojektor keine Projektionsfläche zur Verfügung steht, eignet sich zur Not durchaus die helle Rückseite einer Landkarte - aber wehe, die Sonne scheint von hinten auf die Karte, Europa ist dann besser zu sehen als der Buchungsbeleg!
Sehr zu empfehlen ist, das Tafelbild vor der Stunde genau zu erproben. Erstens ist es häufig zu umfangreich, zweitens werden manchmal erst während der Stunde störende Metallschienen der Tafel entdeckt.
Eigentlich ist es selbstverständlich, daß sich der Referendar vor der Lehrprobe davon überzeugt, alle Unterrichtsmaterialien griffbereit zu haben; aber leider kam schon der ratlose Ausspruch "ich finde jetzt die Folie nicht!" in einer solchen Stunde vor. Im Zustand großer Prüfungsnervosität wunderte sich übrigens einmal eine Kandidatin, daß von ihrem vorbereiteten Tonband nichts zu hören war - sie hatte zusätzlich die Löschtaste gedrückt!
Schließlich noch eine recht traurige Erfahrung: Die der Prüfungskommission vorgelegten Unterrichtsvorbereitungen enthalten nicht selten eine größere Anzahl von sprachlichen Fehlern. Bei sorgfältiger Arbeit muß es auch unter Zeitdruck einem Lehrer möglich sein, eine so gut wie fehlerfreie Lehrdarstellung zu erstellen. Zwar kann es bei den Prüfern durchaus Heiterkeit erwecken, wenn in einer Ausarbeitung über das Thema "Das Komma beim Infinitivsatz" vom Kandidaten ausgerechnet im Satz "Es ist für den beruflichen Werdegang des Schülers besonders wichtig, die Kommaregeln zu kennen" das Komma vergessen wird, aber es entsteht eben der Eindruck der Flüchtigkeit.
Das Verhalten während der Stunde
Der Referendar sollte unbedingt auf ordentliche Kleidung achten. Das Argument "Wenn ich mich besser anziehe, ist die Situation für den Schüler ungewohnt" sticht auf keinen Fall: verwaschene Bluejeans aus der Studentenzeit - sie geht irgendwann einmal zu Ende! - sind wohl nicht die richtige Bekleidung für einen akademischen Beruf, zum andern ist für die Schüler eine Lehrprobe ohnedies eine Ausnahmesituation.
Die ersten Sätze, die der Kandidat in der Lehrprobe sprechen will, hat er sich genauestens zurechtzulegen, nicht nur im Inhalt, sondern auch im Ausdruck. Trotz schwerem Lampenfieber muß es möglich sein, verständlich zu sprechen und freundlich zu sein. Ein vorher überlegter Scherz, wenn er nicht zu gequält über die Lippen kommt, lockert die Atmosphäre.
Das Verteilen von Arbeitsmaterial kann vor Eintreten der Prüfungskommission durch Abzählen und Zurechtlegen vorbereitet werden. Selbst in Lehrproben sind Schüler nur schwer davon abzubringen, ein überflüssiges Blatt, anstatt es unter die Bank zu legen, unter großem Aufsehen nach vorne zu bringen. Wenn ein Blatt irgendwo fehlt, gibt es ohnedies immer Störungen.
Eine leichte Dialektfärbung wird von vielen Kandidaten nicht verhindert werden können, aber man sollte einen Schülerbeitrag in Mundart nicht noch in Form eines "Lehrerechos" ebenso wiederholen.
Die Bemühungen, humorvoll zu sein, zielen leider zu oft in die falsche Richtung: Auf Kosten eines Schülers darf man keinen Witz machen. Selbstironische Bemerkungen sind grundsätzlich besser, aber ein Ausspruch wie "Da wundert ihr euch sicher, daß ich heute für die Striche sogar ein Lineal verwende!" ist auch nicht glücklich zu nennen. Makabre Scherze z.B. bei "Sterbegeld": "Das gibt es sicher, damit man besser stirbt!" eignen sich nicht als Impuls. Auf keinen Fall darf es für den Schüler zu peinlichen Situationen kommen. Deshalb sollte man z. B. auch, wenn ein projizierter Text vorgelesen werden soll, einen Schüler auswählen, der sich meldet, und nicht ausgerechnet einen aufrufen, dessen Kurzsichtigkeit schon durch eine dicke Brille gekenn-zeichnet ist.
Auf die Notwendigkeit klarer und vollständiger Arbeitsanweisungen wurde schon hingewiesen. Wenn sich die Schüler erst einmal zur Gruppenarbeit zusammengesetzt haben, ist es schwierig, eine vergessene Anweisung überall anzubringen. Während der Gruppenarbeit darf ohnedies nur in Notfällen dazwischengeredet werden, dann aber so, daß es alle Schüler hören. Der Prüfungskommission die eigene Aktivität dadurch zu beweisen, daß man in dieser Phase einen Witz erzählt, ist fehl am Platz. Auch wenn es schwerfällt: Der Lehrer darf sich nur mit gedämpfter Stimme mit den Gruppen unterhalten. Eine Gruppenarbeit ist nur sinnvoll, wenn die Ergebnisse anschließend ausgewertet werden. Bei arbeitsteiligem Verfahren muß jede Gruppe zu Wort kommen. Der notorische Zeitmangel bei Lehrproben, der die Auswertung oft verhindert, muß durch Reduzierung der Arbeit, klare und einfache Fragen und Anweisungen und übersichtliches Arbeitsmaterial vermieden werden.
Es ist immer wieder schön, zu sehen, wie sich die Schüler in der Lehrprobe bemühen, dem Lehrer zu helfen. Es muß hier deutlich ausgesprochen werden: Den Grund für mangelhafte Schüleraktivität hat der Kandidat fast ausnahmslos bei sich selbst zu suchen! Eine zu schwierige Fragestellung kann eine Klasse innerhalb kürzester Zeit für den Rest der Stunde - aus Angst, etwas Falsches zu sagen und damit, dem Lehrer zu schaden - stumm machen. Auch eine monotone, zu wenig modulierte Stimme und langweiliges, temperament- und humorloses Lehrerverhalten rauben der Klasse die Aktivität. Auch bei einem Schauspieler ist das der Lehrer nicht auch? - muß trotz Lampenfieber der Funke überspringen. Dem Künstler dankt das Publikum durch Beifall, dem Lehrer der Schüler (unbewußt) durch Mitarbeit.
Der Lehrer sollte andererseits auf die Bemühungen der Schüler ermutigende Reaktionen zeigen. Er muß - auch wenn es in einer Lehrprobe besonders schwierig ist - auf unerwartete Schüleräußerungen und -fragen eingehen, wobei das Problem im Raum steht, ob und in welchem Umfang der Kandidat überhaupt von seiner Unterrichtsvorbereitung abweichen soll und darf. Dazu folgende Bemerkung: Ein guter Lehrer ist flexibel und geht auf die Schüler ein. Es gibt sehr erfreuliche Lehrproben, bei denen der Referendar zugunsten einer spontanen und lebhaften Diskussion, die geschickt geleitet wird, einen Teilschritt und damit vorgegebene Lernziele "opfert". Es gibt aber auch recht mäßige Stunden, bei denen der Lehrer zwar brav alles erledigt, was er sich vorgenommen hat, aber Spontaneität und persönliche Sicherheit vermissen läßt. Im Grundsatz ist freilich der geplante Unterrichtsverlauf einzuhalten. Wozu hätte man ihn sonst so genau überlegt?
Nach der Lehrprobe
Viele Referendare können ihre Leistung recht genau einschätzen. Manche sind aber auch nach ihrer Lehrprobe ausgesprochen niedergeschlagen, einige wenige sind auch euphorisch. Die psychische Ausnahmesituation, die immer wieder zu beobachten ist, kann man nur zu gut verstehen, hängt doch vielleicht sogar die berufliche Zukunft an einer entsprechenden Note.
Bei der Besprechung der Lehrprobe und der Bekanntgabe des Ergebnisses durch die Prüfungskommission kann darum durchaus einmal die Gefahr der Peinlichkeit und des Mißklangs bestehen. Eine vernünftige Diskussion über die Stunde ist aber wesentlich nützlicher als Tränenströme oder Uneinsichtigkeit gegenüber offensichtlichen Mängeln und verbesserungsbedürftigen Verhaltensweisen.
In den folgenden Tagen sollte man die ganze Stunde noch einmal kritisch an sich vorüberziehen lassen und ehrlich überlegen, was nicht so gut gelungen ist. Aus Fehlern lernt man - das war auch der Sinn dieses Beitrags - besonders nachhaltig. Der Referendar muß sich aber anderer-seits auch unbedingt an dem freuen, was ihm geglückt ist und ihm zeigt, daß er doch das Zeug zu einem guten Lehrer hat.
Nachbemerkung
Dieser Text ist recht alt und nicht mehr in allen Bereichen gültig.
Trotzdem enthält er genügend nützliche Tips und Anregungen,
so dass sich das Lesen lohnt. (H. Richter)