1. Lernziele kennen
Dem Lernenden müssen zu jedem Zeitpunkt Wert und Bedeutung
eines Lernstoffs persönlich einsichtig sein. Nur dann werden Antrieb
und Aufmerksamkeit geweckt, der Schüler zum Lernen motiviert, der Organismus
auf »Aufnahme« gestimmt und der Inhalt sinnvoll gespeichert.
Die Information wird »tiefer- verankert, weil dann über die kognitiven
Verarbeitungsregionen der Gehirnrinde hinaus z. B. auch das limbische System
»emotional « mitbeteiligt ist.
2. Sinnvolles Curriculum
Lernstoff, dessen Nutzanwendung weder aus seiner Beziehung zur
Wirklichkeit noch aus vor-hergehenden Lerninhalten einsehbar ist, wird bereits
schlecht im Gedächtnis verankert (siehe oben). Zum andern ist er später
wertlos, da er isoliert gespeichert und für weitere Gedankenverbindungen
dann nicht verfügbar ist. Reihenfolge und Aufbau eines Themas oder Unterrichtsgebiets
sind daher nach realen Lernzielen und nach ihrer Verständnisfolge
zu gliedern und nicht nach historischen oder fachsystematischen Gesichtspunkten.
3. Neugierde kompensiert Fremdeln
Wo Neugier, Faszination und Erwartung fehlen, wird die so wichtige
Lernbereitschaft für einen zunächst fremden Stoff nicht geweckt.
Vielmehr löst die Konfrontation mit dem Ungewohnten dann über das
Zwischenhirn und den Sympathikusnerv eine direkte Stimulation von Cate-cholaminen
- auch in bestimmten Gehirnregionen - aus, was bei geringen Streßreizen
vielleicht noch das Behalten, aber nicht das Verstehen ermöglicht und
bei stärkeren Reaktionen zudem die Abwehrhaltung gegen den Lernstoff
zementiert. Die Konsolidierung und Verarbeitung der aufgenommenen Information
kann nicht mehr erfolgen.
4. Neues alt verpacken
Unbekannt = feindlich = Streß. Die dadurch ausgelöste negative
Hormonlage blockiert wie oben erwähnt das Denken und Kombinieren und
verhindert, daß sich der Stoff assoziativ verankert. Vertraute »Verpackung«
mildert dagegen die Abwehr gegen das Unbekannte und vermittelt darüber
hinaus durch das Gefühl des Wiedererkennens ein kleines Erfolgserlebnis,
und der Trend geht in Richtung lernpositiver Hormonlage.
5. Skelett vor Detail
Größere Zusammenhänge hängen selbstredend
immer irgendwie mit der alltäglichen Erlebniswelt, also mit Vertrautem
zusammen. Eine solche Information ist daher im Gegensatz zu den Details nie
allzu fremd. Sie wird sich eher auf vielen Ebenen im Gehirn verankern können
und ein empfangsbereites Netz für später angebotene Details bieten,
so daß diese »saugend« aufgenommen werden.
6. Interferenz vermeiden
Zusatzwahrnehmungen ähnlichen Inhalts stören oft das Abrufen der
innerhalb des Ultrakurzzeit-Gedächtnisses kreisenden Erstinformation.
Sie lassen diese ohne feste Speicherung abklingen und verhindern so das Behalten.
Besser ist es, die Erstinformation zunächst ins Kurzzeit-Gedächtnis
abzurufen, d.h. an bekannten Gedankeninhalten zu verankern, und dann erst
»Variationen über das Thema« anzubieten.
7. Erklärung vor Begriff
Durch eine Erklärung von Tatsachen oder Zusammenhängen
(ohne noch den zu erklärenden Begriff zu nennen) werden entsprechend
unserer fünften Regel bereits bekannte Assoziationsmuster geweckt, an
denen dann der eigentliche neue Begriff - auf den man nun neugierig ist -
fest verankert werden kann.
(Muster : Erklärung....... Dies bezeichnet man als .....[Schulbücher werden so geschrieben])
8. Zusätzliche Assoziationen
Durch veranschaulichende Begleitinformation und Beispiele erhält
eine neue Information gleichsam ein Erkennungssignal für das Gehirn.
Operationale (anschauliche) Darstellung läßt weitere Eingangskanäle
und sonst nicht benutzte haptische (= anfassen) und motorische Gehirnregionen
mitschwingen. Das garantiert bessere Übergänge ins Kurzzeit- und
Langzeit-Gedächtnis und bietet vielseitigere Möglichkeiten, die
Information später abzurufen.
9. Lernspaß
Spaß und Erfolgserlebnisse sorgen für eine lernpositive Hormonlage
und damit für ein reibungs-loses Funktionieren der Synapsen und des
Kontaktes zwischen den Gehirnzellen. Daher werden mit positiven Erlebnissen
verknüpfte Informationen besonders gut verarbeitet und verstanden und
ebenfalls wieder vielseitig (und somit »anwendungsbereiter«) im
Gedächtnis verankert.
10. Viele Eingangskanäle
Den Lernstoff über möglichst viele Eingangskanäle
(Sehen, Hören, Anfassen, Lesen) anbieten, einprägen und verarbeiten.
je mehr Wahrnehmungsfelder im Gehirn beteiligt sind, desto mehr Assoziationsmöglichkeiten
für das tiefere Verständnis werden vorgefunden, desto größer
werden Aufmerksamkeit und Lernmotivation, und desto eher findet man die gelernte
Information wieder, wenn man sie braucht.
11. Verknüpfung mit der Realität
Den Lerninhalt möglichst viel mit realen Begebenheiten verbinden,
so daß er wie in Punkt 10 »vernetzt« verankert wird. Werden
reale Erlebnisse angesprochen, so wird der Lerninhalt trotz zusätzlicher
Information eingängiger (Aufnahme als »Muster« statt als
»lineare Folge«). Bei der anschließenden Verfestigung des
Gelernten (Konsolidierung) wirkt dann die reale Umwelt als unentgeltlicher
und unbemerkter »Nachhilfelehrer«, weil sie das Gelernte zum Mitschwingen
bringt.
I2. Wiederholung neuer Information
Jeden Lernstoff in Abständen wiederholt aufnehmen. Wenn
eine Information wiederholt über das Ultrakurzzeit - Gedächtnis
(aber nicht innerhalb der Zeitspanne des UKG (ca. 20 s.)) aufgenommen wird,
kann sie mit mehreren vorhandenen Gedächtnisinhalten assoziiert werden.
Vorstellungen und Bilder werden geweckt, die die vielen Wahrnehmungskanäle
eines echten Erlebnisses teilweise ersetzen und eine Einkanal - Information
wenigstens innerlich zur Mehrkanal - Information machen, quasi zu einem inneren
Erlebnis.
13. Dichte Verknüpfung
Eine dichte Verknüpfung aller Fakten eines Unterrichts,
eines Buches oder einer Aufgabe miteinander stärkt die Punkte 4, 5, 8,
10 und 11, vermittelt Erfolgserlebnisse und fördert das Behalten wie
auch das kreative Kombinieren ohne zusätzlichen Aufwand. Eine solche
Verknüpfung und Abstimmung gilt natürlich auch für diese dreizehn
Punkte selbst. Man sollte sie für jeden praktischen Fall abwägen
und mit dem jeweiligen Lerntyp in Einklang bringen.
Nachbemerkung :
Informationen werden zuerst im Ultrakurzzeitgedächtnis (UKG),
dann, wenn sie weiter benötigt werden, im Kurzzeitgedächtnis (KG)
gespeichert, anschließend – falls erforderlich – ins Langzeitgedächtnis
(LG) übertragen.
Was bedeutet das nun speziell für unser Lernen? Bei Dingen, die wir
selbst intensiv erleben, genügt ja oft eine einmalige Aufnahme zur permanenten
Speicherung, das heißt, wir können uns ein Leben lang daran erinnern.
Beim Lernen dagegen, wo ein Stoff gewöhnlich nicht erlebt, sondern eben
nur gehört oder gelesen wird, ist das freilich schwieriger. Wie wir
wissen, sollten wir alles zu Lernende, also jede neue Information, mehrfach
wiederholt aufnehmen. Sie muß wiederholt über das Ultrakurzzeit
- Gedächtnis angeboten werden. Offenbar muß dabei unser Gehirn
die neue Information mit bereits vorhandenen Gedächtnisinhalten assoziieren.
Es muß Vorstellungen und Bilder zusammenbringen, um die vielen Wahrnehmungskanäle
eines echten Erlebnisses, wie sehen, hören, fühlen, schmecken,
riechen, anfassen und sich bewegen, wenigstens teilweise zu ersetzen. Das
heißt, wir müssen solche Ein-Kanal-Informationen dann wenigstens
innerlich zu Mehr – Kanal - Informationen machen - quasi zu einem inneren
Erlebnis. Und damit wird auch schon gleich der Weg für die spätere
Wiederauffindung durch Assoziationen gebahnt: je mehr passende Assoziationen,
je mehr Möglichkeiten einer vielfältigen Zuordnung schon da sind,
um so weniger muß der Stoff gepaukt werden, und um so besser ist er
aus dem Langzeit - Gedächtnis - selbst auf eine ungewohnte Anfrage hin
abrufbar.
entnommen aus : Frederic Vester, "Denken, Lernen, Vergessen" , Stuttgart 1975