Neben dem Lehren gehört die Kritik an Schülern zu den wichtigsten Aufgaben eines Lehrers. Ohne ein geeignetes Feedback tappen die Schüler im dunkeln : sie wissen nicht, ob sie die Erwartungen des Lehrers erfüllen, ob ihre Arbeit gut läuft oder nicht. Ein Teilaspekt solcher in diesem Sinne verstandenen Kritik sind sicherlich Klassenarbeiten, Tests, mündliche Noten; sie sind jedoch in erster Linie auf kognitive Leistungen der Schüler beschränkt (Fachkompetenz) und schließen in den seltensten Fällen Sozial- oder Humankompetenz oder das Lernverhalten des Schülers mit ein.
Die Art, wie ein Feedback gegeben wird, bestimmt in starker Weise das Arbeitsklima in einer Klasse.
Wie man es nicht machen sollte
Kritik wird nicht als Beschwerde formuliert, sondern als persönliche Attacke, Vorwürfe, die sich gegen die Person richten, werden mit einem Schuss Geringschätzung, Verachtung und Sarkasmus geäußert; beides führt zu einer Abwehrhaltung, zum Ausweichen vor der Verant-wortung und schließlich zum Mauern oder verbitterten passiven Widerstand, der aus dem Gefühl heraus erwächst, ungerecht behandelt worden zu sein.
Zu den verbreitetsten im Klassenraum geäußerten Formen destruktiver Kritik gehören Bemerkungen wie z.B. "Du machst nur Mist", die in einem schroffen, ärgerlichen Ton vorgetragen werden. Der so angesprochene Schüler kann darauf nichts erwidern, er fühlt sich hilflos und ist verärgert. Eine solche Kritik zeugt davon, das der Kritisierende nicht weiss, welche verheerende Wirkung solche Äußerungen auf die Motivation, die Energie und das Selbstvertrauen des Angesprochenen haben.
Viele Lehrer sind mit Kritik sehr rasch bei der Hand, knausern dagegen mit Lob, so dass die Schüler das Gefühl entwickeln, ihre Arbeit werde nur dann bewertet, wenn sie einen Fehler machen. Andere Lehrer geben - genauso fatal - über lange Strecken hinweg überhaupt kein Feedback. Viele bringen ihre Kritik erst dann hinaus, wenn sie eine Vielzahl von Kritikpunkten gesammelt haben und sie ihre Wut nicht mehr zurückhalten können. Dann äußern sie ihre Kritik auf schlimmste Weise, in einem Tonfall ätzenden Spotts, und führen eine lange Liste von Beschwerden an, die sie für sich behalten hatten.
Solche Angriffe führen zu nichts. Sie werden als Affront aufgenommen und lassen den Betroffenen seinerseits wütend werden. Das ist die schlimmste Art, jemanden zu motivieren.
Eine schlimme Angewohnheit ist es auch, Schüler stets vor der gesamten Klasse "herunter-zuputzen", ohne ihm die Möglichkeit zu bieten , einen Gesichtsverlust zu vermeiden. Es ist nicht selten, dass die in dieser Form gemaßregelten Schüler anfangen, ihren Lehrer förmlich zu hassen. Sobald dieser Punkt erreicht ist - und das geht in der Regel sehr schnell - ist das Lehrer - Schüler - Verhältnis dauerhaft gestört und kaum noch reparabel. Egal, wie Lehrer und Schüler sich dann verhalten : es wird dem jeweiligen Gegenüber buchstäblich alles zum Nachteil ausgelegt.
Die geschickte Kritik
Eine geschickte Kritik gehört zu den nützlichsten Dingen, die von einem Lehrer ausgehen können. Eine geschickte Kritik geht auf das ein, was jemand getan hat und was er tun kann, statt in eine unzureichend gelöste Aufgabe eine Charaktereigenschaft hineinzudeuten. Es ist verfehlt, jemanden persönlich anzugreifen, ihn beispielsweise als dumm oder unfähig hinzustellen. Damit treibt man ihn gleich in die Defensive, und dann hat er kein Ohr mehr für mögliche Verbesser-ungen, die man ihm vorschlagen möchte.
Und was die Motivation betrifft : Wenn die Schüler glauben, ihre Mißerfolge beruhen auf
einem unveränderlichen Defizit bei ihnen selbst, dann verlieren sie die Hoffnung und geben sich keine Mühe mehr
Harry Levinson, ein Psychoanalytiker, gibt zur Kunst der Kritik, die mit der Kunst des Lobens aufs engste verwoben ist, die folgenden Ratschläge :
Sei präzise.
Suche Dir ein aussagefähiges Beispiel aus, das ein Problem verdeutlicht, an dem etwas geändert werden muss, oder eine bestimmte Schwäche, zum Beispiel die Unfähigkeit, gewisse Teile einer Aufgabe befriedigend zu lösen.
Es demoralisiert Schüler, wenn man ihnen lediglich sagt, dass sie etwas falsch machen, aber keine Einzelheiten nennt, so dass sie etwas ändern könnten.
Nenne die einzelnen Punkte, was jemand gut gemacht hat, was er nicht so gut gemacht hat und wie es sich ändern ließe.
Rede nicht um den heißen Brei herum, weiche nicht aus, rede nicht verschwommen, sonst versteht keiner, was Du wirklich willst.
Auf Einzelheiten kommt es beim Lob ebenso an wie bei der Kritik. Ein unbestimmtes Lob hat keine große Wirkung und der Schüler lernt daraus nichts.
Biete eine Lösung an.
Die Kritik soll wie jedes brauchbare Feedback einen Weg zur Behebung des Problems auf-zeigen. Andernfalls lässt sie den Adressaten frustriert, demoralisiert und demotiviert zurück. Das Feedback kann die Tür zu Möglichkeiten und Alternativen öffnen, die der Betroffene nicht gesehen hat oder kann auf Defizite aufmerksam machen, die beachtet werden müssen, sie sollte aber Vorschläge enthalten, wie man Probleme bewältigen kann.
Sei präsent.
Am wirksamsten ist Kritik, wenn sie direkt und unter vier Augen ausgesprochen wird. Im Unterschied dazu kann es bei einem Lob auch ab und zu einmal "coram Publico" sein - aber nicht zu oft bei den gleichen Schülern - die dann ablaufenden Mechanismen sind wohl jedem bekannt.
Sei sensibel.
Als Lehrer sollte man sich darauf einstellen, wie das, was wir sagen und wie wir es sagen, auf den Empfänger wirkt. Manche Lehrer neigen dazu, Feedback auf verletzende Weise zu geben, z.B. durch eine herabsetzende Bemerkung. Eine solche Kritik wirkt sich destruktiv aus : Statt Wege zur Abhilfe zu ebnen, erzeugt sie eine Gegenreaktion aus Groll, Verbitterung, Abwehr und Distanz.
Auch für die Adressaten von Kritik hält Levinson Ratschläge bereit. So sollte man Kritik als eine wertvolle Information über Möglichkeiten, es besser zu machen, und nicht als persön-lichen Angriff betrachten. Auch sollte man auf den Impuls achten, der einen in eine Abwehr-haltung treibt, statt dass man zu seiner Verantwortung steht.
Und wenn es zu aufregend wird, sollte man darum bitten, das Gespräch später fortzusetzen, damit man die unangenehmen Botschaften erst einmal verdauen und sich ein bißchen beruhigen kann.
Schließlich sollte man Kritik als eine Chance begreifen, zusammen mit dem Kritiker an der Lösung des Problems zu arbeiten, und nicht als eine Konfrontation von Gegnern.