Die didaktische Reduktion nach G. Grüner
H. Richter, 1984
 1. Die Berufsschultheorie

Durch das Bestreben, den Gegensatz zwischen Facharbeiter und Ingenieur zu vermindern, forderte in den 30-er Jahren 0.Hartmann (Aachen), daß die angehenden Facharbeiter in ganz elementarem Ausmaß in die Ingenieurwissenschaften eingeführt werden sollten.

So zeigt sich die Berufsschultheorie aus zwei Teilen zusammengesetzt :

a) Die Theorie des Umgangs in der Werkstatt :

b) Einführung in die Ingenieurwissenschaft:

 Mit der zunehmenden Technisierung der Arbeitswelt ändern sich die Anforderungen an den Facharbeiter immer mehr. Daraus resultiert, daß die unter b) genannte Berufstheorie zunehmend an Bedeutung im Berufsschulunterricht gewinnt.

(Ein Vergleich alter und neuer Berufsschulbücher spiegelt diese Umwandlung sehr deutlich wider)

 
2. Die Vermittlung ingenieurwissenschaftlicher Inhalte an Berufsschüler

Betrachtet man den Unterschied zwischen der Berufstheorie des Facharbeiters einerseits und der des Ingenieurs andrerseits -, so zeigt sich folgendes Bild

  1. Es gibt Berufswissen, das nur für Ingenieure typisch ist.
  2. Es gibt Berufswissen, das nur für Facharbeiter typisch ist.
  3. Es gibt Berufswissen, das beiden gemeinsam ist.

 

Interessant für die weiteren Betrachtungen ist das den beiden Gruppen gemeinsame technische Wissen, sozusagen die Schnittmenge:

 
Dieses gemeinsame Wissen besteht noch einmal aus zwei Teilbereichen:

a) Technisches Wissen, das den beiden in absolut identischer Form gemeinsam ist. (DIN-Normen, z.B. Kerndurchmesser einer Schraube etc.)

b) Technisches Wissen, das dem Facharbeiter in einer einfacheren und somit doch anderen Form vermittelt wird als dem Ingenieur, das aber denselben Gegenstand betrifft.

 Offensichtlich ist, daß beim unter b) genannten technischen Wissen ein didaktischer Umwandlungsvorgang einsetzen muß, der das höherstehende technische Wissen des Ingenieurs für Berufsschüler "aufarbeitet"

 3. Die Umwandlung technischen Wissens

G. Grüner bezeichnet in seinem Aufsatz über die didaktische Reduktion eine große Anzahl von Begriffen, die den Vorgang der Umwandlung technischen Wissens umreißen.

Neben dem Begriff der "didaktischen Reduktion", der seiner Meinung nach den Vorgang der Umwandlung in treffenster Weise wiedergibt, nennt er Begriffe wie : popularisieren, faßlich machen, verdeutlichen, erklären, vereinfachen, elementare Darstellung usw., die jedoch teilweise nicht ganz wertfrei seien bzw. teilweise einen abwertenden Sinn hätten.

 4. Die didaktische Reduktion ingenieurwissenschafttlicher Aussagen
 
Ein zentrales Anliegen der didaktischen Reduktion ist es, technische Aussagen so umzuwandeln, daß sie wohl einfacher zu verstehen sind, nicht aber an sachlicher Richtigkeit verlieren.
Nachfolgende Abbildung zeigt, wie die Aussage "Funktionsweise einer Meßuhr" in eine viel leichtere Form umgesetzt und somit für Berufsschüler fasslicher geworden ist. Da die Sprache des Technikers die technische Zeichnung ist, werden zur Reduktion ingenieurwissenschaftlicher Aussagen häufig Zeichnungen herangezogen.

 

Meist muß die Reduktion komplizierter Aussagen in Stufen vollzogen werden. Auf diese Weise entstehen ganze Reduktions- und Vereinfachungsreihen, die nicht zuletzt auch in Hinblick auf den stufenförmigen Aufbau des technischen Schulwesens wichtig sind.
Diese Reduktionsreihen einen mehr oder. weniger fließenden Übergang von einer äußerst differenzierten Aussage zu einer nur das Allgemeine aufbewahrenden Aussage.
Die reduzierte Aussage soll den gleichen Gültigkeitsumfang haben wie die Ausgangsaussage, und es soll ein widerspruchsfreier Übergang von der reduzierten Aussage zur Ausgangsaussage möglich sein.
 
5. Die horizontale und vertikale didaktische Reduktion
 
In der Schulpraxis kann die Ausgangsaussage (AA) bei der didaktischen Reduktion nur in seltenen Fällen die obere Aussage (OA) der entsprechenden Wissenschaft sein, weil es sich bei dieser Aussage um den letzten Forschungsstand handelt, um dessen Kenntnis sich der Berufsschullehrer wohl bemühen sollte, auch wenn es ihm nicht immer gelingt.

Zum anderen wird die erhobene Forderung nach dem stets gleichbleibenden Gültigkeitsumfang nicht aufrecht zu halten sein. Daraus resultiert, daß in der Berufsschulpraxis zwei didaktische Reduktionsbewegungen erforderlich sind:

Die horizontale didaktische Reduktion die vertikale didaktische Reduktion

 
Bei der horizontalen didaktischen Reduktion bleibt der Gültigkeitsumfang der Aussage gleich, die wissenschaftliche Aussage wird nur weiter konkretisiert- oft unter Zuhilfenahme von Analogien, Metaphern und Beispielen und damit leichter zugänglich gemacht.

 

Die vertikale didaktische Reduktion engt dagegen den Gültigkeitsumfang der Aussage von Stufe zu Stufe weiter ein. Diese Einschränkung des Gültigkeitsumfangs stellt an das didaktische Gewissen des Lehrers große Anforderungen -, schließlich muß er entscheiden, welches Wissen er dem Schüler mit auf den Weg gibt und in wieweit sich eine Reduzierung des Schülerwissens in der jeweiligen Situation rechtfertigen läßt.

 

Was mit der horizontalen und vertikalen didaktischen Reduktion gemeint ist, soll an den folgenden Beispielen verdeutlicht werden. Aus der Skizze kann man erkennen, daß beide Reduktionsvorgänge zusammen das didaktische Reduktionsfeld ergeben. Aufgabe des Berufs-schullehrers sollte es - nach Grüner - sein, in solcher. Reduktionsfeldern zu denken, damit er in verschiedenen Stufen des technischen Bildungswesens tätig werden kann.
 

Abb. 3 : (verkürzte) Darstellung des didaktischen Reduktionsfeldes "Hebel" nach G. Grüner
 

 Vertikale didaktische Reduktion am Beispiel "Hebelgesetz"